Ein kleines Mädchen im weissen Kleidchen steht auf der Strasse, ihr
Vater etwas abseits im Schatten eines Gebäudes. Er trägt einen
schwarzen Anzug und eine dunkle Sonnenbrille, ist beleibt und scheint
sich vor der Kamera zu verstecken. Womöglich gehört der Mann auf der
Fotografie von Letizia Battaglia (geboren 1935) der sizilianischen
Mafia an. Die Fotografin dokumentierte die vielen Gesichter der Cosa
Nostra – mitunter die unschuldigen Kinder, die sich mitten in
Mafiakriegen wieder fanden. Arbeiten von Battaglia wurden in Zeitungen
publiziert und Jahre später im Korruptionsverfahren gegen den
ehemaligen Premierminister Italiens, Giulio Andreotti, im Jahr 2002
sogar als Beweismaterial verwendet. Eine Fotokünstlerin der Moderne,
die Reportagen realisierte – eine Seltenheit in einer Männerdomäne. Die
Galerie ArteF in Zürich zeigt in ihrer Ausstellung «Women
Photographers» schwarz/weisse Arbeiten von Battaglia und acht anderer
Fotografinnen, die immer wieder in den Schatten ihrer männlichen
Kollegen verdrängt werden. Abbild der Seele Die
Porträtaufnahme von Elisabeth Sunday zeigt eine verschleierte schwarze
Frau, fotografiert in Westafrika. Die US-Künstlerin (geboren 1958)
spielt mit der Erwartungshaltung der Betrachter: Nicht direkt, sondern
in einem Spiegel wurde die Frau fotografiert – das Spiegelbild zeige
die Seele einer Person, glauben viele afrikanische Stämme. Beim
Wandeln in der Galerie drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob sich
die Werke von Fotografinnen von den Arbeiten ihrer männlichen Kollegen
unterscheiden, ob es einen weiblichen Blick gebe. Wären die Sujets der
streng geometrisch komponierten Architekturaufnahmen von Berenice
Abbott (1898–1991), die im staatlichen Auftrag Kartografien von New
York anfertigte, oder die geheimnisvollen Luftaufnahmen von Marilyn
Bridges (geboren 1948), einer der wichtigsten Figuren in der
Flugfotografie, nicht mit den Namen der Künstlerinnen angeschrieben –
über das Geschlecht des Urhebers lieferten sie keine Aufschlüsse. Mexikanische Leidenschaft Die
Ausstellung umfasst des Weiteren seltene Werke von Tina Modotti
(1896-1942), Lola Alvarez Bravo (1903-1993) und deren Schülerin Mariana
Yampolsky (1925 – 2002), die sich in ihren Arbeiten mit dem Land nach
der Revolution von 1910 auseinander setzen. Die in Mexiko
arbeitenden Künstlerinnen waren Teil der Avantgarde – Diego Riviera,
Frida Kahlo oder Pablo Neruda gehörten zu ihren Freunden. Vor allem
Modotti stach heraus, ob als Dokumentarin der Werke Diego Rivieras, ob
als Schauspielerin oder einfach als Femme Fatale. Sie waren
schillernde Gestalten, sie lebten ihren Beruf mit Leidenschaft und
Unabhängigkeit: Ihre Liebe galt der Fotografie, dafür bereisten sie die
Welt, dafür riskierten sie mehr als einmal ihr Leben. So erhielt
beispielsweise Battaglia für ihre Mafiareportagen immer wieder
Morddrohungen. Mit dieser Leidenschaft erkämpften sie sich ihren Platz
in einer Männerdomäne und schufen bemerkenswerte Fotografien voller
Anmut und Ehrlichkeit. Stefanie Christ Die
Ausstellung «Women Photographers» dauert noch bis am 24. Februar,
Galerie ArteF, Splügenstrasse 11, Zürich. Am 25. Januar, 19.00 Uhr,
führt Elisabeth Bronfen, Dozentin am Englischen Seminar Universität
Zürich, durch die Ausstellung.
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